Vieles ist anders geworden, seit ich sechzehn Jahre alt war, und das letzte Mal einen Eintrag bei dir gemacht habe. Ich habe Falten im Gesicht. Das Schwabenalter habe ich längst überschritten. Der Rücken schmerzt ab und zu und das verflixte Überbein am linken Fuß auch.
Habe mich heute auf die Suche nach meiner Vergangenheit gemacht. Die Bar, an der ich mit meiner Freundin (du weißt schon, die die meine Miniröcke trug und darin aussah, wie eine Tonne) den ersten Whisky getrunken habe, gibt es nicht mehr. Das Lokal gibt es noch. Es wurde umbenannt, heißt heute „Knöllchen“.
Dort treffen sich einmal im Monat die Hobbyautoren. Sie haben mich zu einem ihrer Treffen eingeladen.Gelesen wurden Gedichte zum Thema „Herbst“ von einer alten Frau mit hochgesteckten weißen Haaren und einem faltenreichen Gesicht. Sie las mit heiserer Stimme Gedichte von Hölderlin und Hesse und ein Zitat zur Kartoffel von Goethe: „Morgens rund, mittags gestampft abends in Scheiben, dabei solls bleiben.“Dann ging die Dame abrupt auf das Thema „Kindheitserinnerungen an die Kartoffel“ über. Was konnte man früher aus ihr machen? Wo kommt sie her? Was kann man heute mit ihr machen? Welche Lieder fallen ihnen zu diesem Thema ein? Mir wurde schummrig, als sie anfing mit heiserer Stimme und weit aufgerissenem Mund zu singen: „Alle Menschen, große und kleine, leben nicht vom Brot alleine, Kartoffeln müssen sein, die schmecken immer fein. Trulla, Trulla Trulla Trulla la, Kartoffeln müssen sein, denn die schmecken immer fein.“
Ihren heißeren Gesang unterstrich sie mit temperamentvollen Handbewegungen. Ihre grünen Augen funkelten erregt und ihre Nebensitzerin schob vorsichtig das Weinglas beiseite, damit sie es nicht vom Tisch fegte. Anschließend informierte sie ihre Zuhörer darüber, wo das bedeutendste Kartoffeldenkmal in Deutschland steht.
Ich vermute, die Besucher dieses Events waren hier, weil es Kaffee und Kuchen gab und sie ein Schwätzchen halten konnten. Das Kartoffellied schien sie nicht zu interessieren. Keiner sang mit. Als die Dame mit geschlossenen Augen und verzückter Mine das Lied: „Kartoffeln aus Amerika, valleri und vallera“ trällerte, hätte ich dich, mein liebes Tagebuch, gerne aus meiner Handtasche geholt und das aufgeschrieben. Aber ich hatte nicht den Mut.
Dann las der Gastwirt aus seinen Kindheitserlebnissen vor. Er hatte als kleiner Junge versucht, mit einem Auto zu fahren, das Lenkrad konnte er gerade erreichen. Er war mit dem Auto über einen Kartoffelacker gefahren. Mehr hatte er nicht dazu beizutragen. Mit zitternder Stimme leitete er das Thema Kartoffelgerichte ein. Es schien wichtig zu sein, welche Gerichte man aus Kartoffeln machen kann. Pellkartoffeln, Kartoffelbrei, Kartoffelsuppe, gratinierte Kartoffeln, Kartoffeln vom Blech, Kartoffelkuchen.Der einen oder anderen der Kaffeetrinkenden Frauen fielen die Augen zu, während er redete. Und die hutzelige Frau mit den rötlich getönten Haaren und dem Doppelkinn erinnerte sich daran, dass sie mich schon gesehen hatte. Sie erklärte mir dann, dass sie die Mutter des ehemaligen Freundes meines Bruders sei.Der Wirt erklärte mir, dass ich vorlesen dürfe, wenn ich zum jeweiligen vorgeschriebenen Thema einen Text hätte. Und ich dachte daran, was meine Mutter sagte, als sie mit mir über das Alter und die Altersweisheit gesprochen hatte: „Altersweisheit gibt es nicht. Wenn man altert, wird man vorsichtig, oder dumm.“ Auf die hier anwesenden Personen schien das Letztere zuzutreffen.Als ich mich in dieser Nacht mit wirren Träumen in meinem Bett wälzte, vermischten sich Lieder der Rollingstones mit Kinderkartoffelliedern: „Nach Kartoffeln, groß und kleine, kleine, kleine, kleine, weiß und schön wie Marzipan -pan -pan, sehnt sich unser Herz alleine -leine -leine –leine, ihr habt es uns angetan, tan, tan“, und Liedern von Mick Jagger, Keith Richards und einem Gedicht von Goethe.
Es war ein Albtraum, aus dem ich morgens schweißgebadet erwachte. Nein, ein solches Treffen ist nichts für meine sensible Dichterseele. Und im Übrigen frage ich mich, warum die aus der Disco ein Kartoffelkaffeekränzchentreffen gemacht haben. Ach ja, ich hatte vergessen, der Wirt ist älter geworden. Ich offensichtlich noch nicht.
Es war ein Albtraum, aus dem ich morgens schweißgebadet erwachte. Nein, ein solches Treffen ist nichts für meine sensible Dichterseele. Und im Übrigen frage ich mich, warum die aus der Disco ein Kartoffelkaffeekränzchentreffen gemacht haben. Ach ja, ich hatte vergessen, der Wirt ist älter geworden. Ich offensichtlich noch nicht.